Schirifibel für Vereine: Gerd Lamatsch: „Ohne Schiri geht es nicht!“ - fussballn.de
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Artikel veröffentlicht am 09.03.2023 um 12:00 Uhr
Schirifibel für Vereine: Gerd Lamatsch: „Ohne Schiri geht es nicht!“
Zehntausende Schiedsrichter sind weg und die Corona-Pandemie hat diese Entwicklung verschärft. Buchautor und langjähriger Referee Gerd Lamatsch will helfen, diesem Trend entgegen zu wirken. Er verfasste eine kurzweilige "Schirifibel" mit Tipps und Tricks für Vereine, Funktionäre und Spieler, um neue Schiris zu gewinnen und alte zu halten.
Von Uwe Kellner
Gerd Lamatsch ist Buchautor und stellt als begeisterter Schiedsrichter nun seine Schirifibel vor.
Kögel / fussballn.de
Guten Tag Herr Lamatsch, Sie haben in Ihrer Freizeit eine "Schirifibel" verfasst. Was war Ihr Antrieb und was wollen Sie damit erreichen?
Gerd Lamatsch: Ich verstehe mich als "Schiedsrichter aus Leidenschaft" und bin seit Jahren aktiv bei der Gewinnung neuer Schiedsrichter engagiert. Dabei wurde mir am Ende durch viele Gespräche bewusst, dass es im Eigeninteresse der Vereine liegen muss, hier einen Beitrag zu leisten! Vereine sind auf Schiedsrichter angewiesen und fordern diese zu Recht - auf der anderen Seite müssen Sie aber auch dafür etwas aktiv beitragen. Geben und Nehmen ist das Grundprinzip im Leben! "Ohne Schiri kein Spiel" - den Spruch kennt jeder und in Zeichen akuten Schirimangels ist er aktueller denn je.
Das ist aber bei vielen Vereinen und Funktionären so noch nicht angekommen. Schiedsrichter haben zu 95 Prozent vorher aktiv Fußball gespielt und werden dann - früher oder später - auch aktive Schiedsrichter. Wie lange, das hängt von vielen anderen Faktoren ab.
Die (Jugend)trainer kennen doch Ihre Spieler und können am Besten bewerten, wer evtl. als Schiedsrichter geeignet wäre. Man muss die jungen Menschen gezielt und mit den richtigen Argumenten ansprechen. Dann kann das auch gut funktionieren. Mein Dokument soll ein einfaches und effektives Hilfsmittel sein, um hier wachzurütteln und konkrete Unterstützung sowie realistische Handlungsempfehlungen und Ideen zu bieten. Übrigens bin ich selber Schiedsrichter geworden, weil mich mein damaliger Jugendtrainer dazu animiert hat.

An wen ist diese Schirifibel gerichtet und wie soll die Verbreitung laufen?

Gerd Lamatsch: Die Schirifibel wendet sich grundsätzlich an alle Protagonisten in den Fußballabteilungen der Vereine - das können Präsidenten, Vorstände, Trainer, Abteilungsleiter oder auch engagierte Eltern sein. Daher die Möglichkeit eines grundsätzlich kostenfreien und einfachen Downloads. Da meine persönliche Reichweite leider sehr eingeschränkt ist, hoffe ich auf tatkräftige Unterstützung durch Medien, Freunde, Kollegen UND vor allem durch den Fußballverband selber. Mehr als anbieten kann ich das nicht. Ich möchte die Vereine dabei an ihre Eigenverantwortung erinnern und das mit konkreten Argumenten unterstützen. So knapp wie möglich und so umfangreich wie notwendig.

Was würden Sie mit der Schirifibel gerne erreichen?

Gerd Lamatsch: Es wäre toll, wenn sich die Vereinsvertreter damit einfach ein wenig intensiver auseinandersetzen, das eine oder andere mal ausprobieren und auch ein Feedback geben würden. Gerne stehe ich für Rückfragen und Feedback zur Verfügung. Ich bin sogar bereit, in die Vereine zu kommen und meine Gedanken in Form eines Kurzreferats zu präsentieren, vorausgesetzt es ist vom zeitlichen Aufwand vertretbar - aber heute kann man ja auch per Videokonferenz kommunizieren.

Gerd Lamatsch verfasste in seiner Freizeit die Schirifibel und stellt diese den Vereinen kostenfrei zur Verfügung. Er will damit auf die Problematik des akuten Schirimangels hinweisen und an die Eigenverantwortung appellieren.
mococo / Stefan Schwarz

In der Schirifibel ist die Rede davon, dass unter anderem zunehmende Gewalt für den Schiedsrichterrückgang verantwortlich ist. War das früher wirklich besser oder wird das heute nur besser dokumentiert? Immerhin sind die Zuschauerzahlen im Amateurfußball rückläufig, so dass prozentual auch die Pöbler an der Seitenlinie weniger geworden sein sollten, oder?
Gerd Lamatsch: Ich denke, das ist eine Mischung aus beidem. Zum einen wird über die digitalen neuen Socialmedia-Kanäle viel mehr bekannt, was früher nur lokal berichtet worden wäre - zum anderen habe ich persönlich subjektiv den Eindruck, dass die Hemmschwelle für Anfeindungen jeglicher Art schon wirklich geringer geworden ist. Zum Beispiel hatte ich vor zirka eineinhalb Jahren ein A-Juniorenspiel, das kurz vor dem Abbruch stand, da sich drei Spieler einer Mannschaft mit extremen Tätlichkeiten "aus heiterem Himmel in kürzester Zeit ohne jegliche Vorwarnung" hervortaten. Der zuständige Trainer tat mir leid, denn er wurde einfach in der Situation komplett überrumpelt. Alle waren am Ende ratlos - und irgendwie ist ja der Fußball letztlich auch ein Spiegelbild unserer Gesellschaft. Traurig aber Tatsache!

Als wichtigste Phase, ob ein Schiedsrichter weitermacht, beschreiben Sie die erste Zeit nach bestandenem Neulingslehrgang. Was muss passieren, damit die neu ausgebildeten Schiris nicht gleich wieder aufhören?
Gerd Lamatsch: Hier ist das Wichtigste, dass die neuen Kolleginnen und Kollegen mindestens in den ersten zwei, drei Spielen von einem erfahrenen Coach begleitet werden. Dadurch wird sichergestellt, dass die Neulinge zum einen proaktiv geschützt werden und zum anderen wertvolle Rückmeldung über die eigene Leistung bekommen. Wenn sie dann diese Spiele gut überstanden haben, dann ist das Schlimmste erst mal überstanden. Ich selber hatte 1976 nur in meinem ersten C-Juniorenspiel einen Coach. Danach war ich alleine auf mich gestellt.
Jetzt haben wir aber die Situation, dass es auf Grund der gesamten Personalsituation auch hier an geeigneten Paten und Coaches mangelt. Das ist ein Riesenproblem und hier muss meines Erachtens auch mit attraktiven Aufwandsentschädigungen seitens des Verbandes gegengesteuert werden. Man kann nicht erwarten, dass diese wertvolle Aufgabe zum Nulltarif erhältlich ist.

Können Sie sich vorstellen, dass die Hürde für den Einstieg als Schiedsrichter zu groß ist. Der Online-Neulingslehrgang findet bisher nur in der Winterpause statt und beim Präsenzlehrgang hat man in der Regel fünf fixe Termine, zu denen man fahren und Zeit haben muss. Warum nicht einfach ein Regelbuch oder die Lehrvideos des Online-Lehrgangs zum Download zur Verfügung stellen und den Leuten dann das komplette Jahr die Möglichkeit geben, eine Online-Prüfung abzulegen?
Gerd Lamatsch: Also die Einstiegshürden haben sich hier schon deutlich gesenkt. Es gibt - auch bedingt durch die Coronakrise - aktuell regelmäßig neue Lehrgänge, die mittlerweile auch zu einem großen Prozentsatz auf "webbasierten virtuellen Trainings" basieren. Meist gibt es eine Auftaktveranstaltung - dann einige Online-Lektionen oder auch virtuelle Lehrstunden. Nur die Prüfung ist dann am Ende noch in Präsenz zu absolvieren. Aber das ist immer ein wenig abhängig vom Angebot der ausführenden Gruppe. Da sind die einen fortschrittlicher und die anderen konservativer unterwegs. Am Ende sollte eine gute und effiziente Mischung stehen.
Als sehr positives Beispiel sei der bayernweite Neulingslehrgang zu erwähnen, der Mitte Januar begann und an dem über 500 Interessenten teilnahmen. Die Frage ist dann immer, wie viele davon tatsächlich anfangen und nach drei bis sechs Monaten noch übrig sind. Das ist die große Herausforderung!

Ohne Schiedsrichter keine Spiele. Gerd Lamatsch sieht Alle in der Pflicht, sich gegen den Schiedsrichterschwund zu stemmen. Er will mit seiner Schirifibel helfen.
fussballn.de / Schlirf

Vereine müssen eine Geldstrafe an den Verband zahlen, wenn sie nicht ausreichend Schiedsrichter stellen. Deswegen könnte man denken, die Vereine seien bemüht, neue Schiris anzuwerben. Viele tun sich dabei jedoch hart, weil sie kaum noch Ehrenamtliche für andere Vereinsposten finden. Was können Sie diesen Vereinen raten?

Gerd Lamatsch: Na ja, ich glaube, das fängt im Kopf und bei der Grundeinstellung an. Wenn ich mich mit dem Thema im Detail und aufrichtig befasse, dann wird man feststellen, dass es doch einige junge Menschen gibt, die bereit sind hier Verantwortung zu übernehmen und sich einfach mal in der Aufgabe auszuprobieren. Dafür muss man aber die richtigen Argumente haben, den richtigen Zeitpunkt der Ansprache wählen und die Kandidaten Schritt für Schritt heranführen. Es gibt mittlerweile sehr erfolgreiche Pilotprojekte in anderen Bundesländern mit einem sogenannten "Schiri-Praktikum". Da werden die Interessenten langsam und Schritt für Schritt an das Thema herangeführt, BEVOR sie überhaupt einen Kurs besuchen. D.h. wenn sie sich für einen Kurs entscheiden, haben sie bereits Lunte gerochen und wissen sehr genau, was sie erwartet. Die Folge davon ist, dass die Abbrecherquote am Ende deutlich geringer ist.
In der Vergangenheit haben die Vereine oft ohne Nachzudenken irgendwelche Kandidaten zu den Lehrgängen gesendet, einfach um die Quote zu erfüllen. In der Hoffnung, ein paar Strafen kurzfristig zu umgehen. Das war und ist mit Sicherheit weder sinnvoll noch nachhaltig.

In der Schirifibel sind viele gute Tipps aufgelistet, wie Vereine mit eigenen und externen Schiedsrichtern umgehen sollten. Sehen Sie die Vereine grundsätzlich in der Pflicht, dass es ausreichend Schiedsrichter gibt, oder kommt hier auch der Verband ins Spiel?
Gerd Lamatsch: Ich denke hier müssen ALLE so gut wie möglich komplementär zusammenarbeiten. Aber: Ich sehe die Vereine bei der Gewinnung, Ansprache und Behandlung eigener sowie externer Schiris in der Pole Position, den Verband bei der Durchführung von Neulingslehrgängen, Weiterbildung und fachlicher Karriere-Förderung. Wenn sich ein Schiedsrichter in seinem Verein wohlfühlt und er in das Vereinsleben integriert ist, wird er motiviert sein und sich so schnell nicht abwerben lassen.

Schiedsrichter und Spaß dabei. Schlechte Erfahrungen bleiben die Ausnahme, auch wenn diese in den Zeitungen ausgeschlachtet werden. Die sehr große Mehrheit der Fußballspiele verläuft für Schiedsrichter problemlos.
anpfiff.info

Herr Lamatsch, vielen Dank, dass Sie sich über die Sorgen und Probleme um die Schiedsrichter im Amateurfußball Gedanken machen. Wie optimistisch sind Sie, dass die Schirifibel an den richtigen Stellen ankommt und Sie damit etwas bewirken können?
Gerd Lamatsch: Da bin ich selber wirklich sehr gespannt. Ich habe zumindest im Vorfeld die wichtigsten Personen im Bayerischen Fußballverband vorab informiert. Das Feedback war allerdings sehr überschaubar. Ich gebe aber nicht auf und "mach mein Ding mit Überzeugung und Herzblut". Mal sehen, was daraus entsteht. Danke, dass ich hier zu Wort kommen durfte.

Vielen Dank für das Interview!

Die Schirifibel von Gerd Lamatsch ist zum kostenlosen Download unter diesem Link verfügbar. Er würde sich freuen, wenn diese eine breite Verteilung findet.


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