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Artikel veröffentlicht am 26.04.2019 um 12:00 Uhr
Die Diskussion geht weiter: Der Kinderfußball ist im Umbruch
Zwei Tore, zwei Torhüter, mindestens Sieben-gegen-Sieben – das war im Nachwuchsfußball Standard, könnte aber bald der Vergangenheit angehören. Der Bayerische Fußballverband (BFV) hat einen Reformprozess angestoßen. Bei diesem heiß diskutierten Thema meldet sich nun unter anderem Professor Matthias Lochmann zu Wort.
Von Jannik Reutlinger, Fränkischer Tag

Der Bayerische Fußballverband führt zur Talentförderung eine neue Spielform ein, darüber wurde bereits berichtet. Das viel diskutierte Thema wird nun nochmal zusammengefasst:

Folgende Punkte sind neu in der Spielordnung: Drei-gegen-drei auf vier Tore soll zur Normalität der G- und F-Junioren werden. Der jüngere E-Jugend-Jahrgang soll seine Partien im Fünf-gegen-fünf austragen. Gewechselt wird im Rotationsprinzip. Einen festen Torwart gibt es erst ab der U11. Der Ligabetrieb wird durch Turniere ersetzt. Die neue Spielform kann ab Juli die bisherige ablösen – muss aber nicht. Die Entscheidung ob alte oder neue Spielform, wird in den Fußballkreisen getroffen. „Niemand will von heute auf morgen das neue Spielsystem einführen und das alte abschaffen“, sagt Klaus Schmalz, BFV-Bezirksjugendleiter Oberfrankens. Das sogenannte Funino sei ein Zusatzangebot. Einzelne fränkische Kreise praktizieren diese Spielform bereits. In den Kreisen Aischgrund, Neumarkt/Jura, Erlangen/Nürnberg und Pegnitzgrund gibt es Pilotprojekte. Wie die Spielform im übrigen Franken angenommen wird, müsse die Zeit zeigen. Ob sich das neue Spielsystem auf Dauer durchsetzt? „Für die Zukunft wage ich keine Prognose“, sagt Schmalz.

BFV sieht Handlungsbedarf

Sicher ist aber: Der BFV sieht Handlungsbedarf. Es müsse verhindert werden, dass nur die besten Talente auf dem Platz stehen und die schwächeren am Spielfeldrand sitzen. Denn oft bleiben Kinder wegen zu geringer Einsatzzeiten dem Fußball nicht treu. Das belegen Zahlen des Verbandes: Spielen in der E-Jugend bayernweit noch 38 000 Kinder, bleibt in der A-Jugend nur noch die Hälfte übrig. Zudem hätten viele Vereine im ländlichen Raum Probleme, eine Mannschaft mit sieben Spielern zu stellen.

Aufregung statt Aufklärung

Seine „neue Richtlinie für den Minifußball“ hat der BFV seinen fast 3000 Mitgliedsvereinen Ende März per Rundmail mitgeteilt – versteckt hinter dem Betreff „Bestellaktion von Toren für Minifußball“. Die neue Fußballform im Nachwuchsbereich wurde erklärt, zudem gab es ein Angebot, vergünstigt kleine Tore zu bestellen. Das hat bei vielen Vereinen für mehr Aufregung als Aufklärung gesorgt. Handelt es sich um eine Muss-Bestimmung? Müssen Tore gekauft werden? Gibt es ab sofort keinen Torwart mehr? Negative Stimmen häuften sich.

Das ärgert Matthias Lochmann: „Es sind einfach viele Falschbehauptungen über die neue Variante im Umlauf.“ Der 48-Jährige ist an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen (FAU) Professor für Sportbiologie und Bewegungsmedizin und hat langjährige Erfahrung als Jugendtrainer. Seit 2015 betreut er die Funino-Pilotprojekte in den fränkischen Kreisen sowie in Berlin, Hannover und München. „Es gibt extra Festivals, bei denen die Torhüter ab der F-Jugend im Wettkampf geschult werden“, betont Lochmann. Während beim Sieben-gegen-sieben zwei Kinder im Tor stehen, würden bei der Funino-Variante bei acht Spielfeldern 16 Spieler an ihren Fähigkeiten als Torwart feilen. Werde auf Minitore gespielt, lernen die Kinder, den Strafraum zu beherrschen.

„In der E-Jugend kommen die Kleinfeldtore zum Einsatz“, erklärt Lochmann. „So wird die zentrale Torverteidigung geschult.“ Da die Torhüter gleichzeitig im Feld mitspielen, hätten sie mehr Ballkontakte und verbessern ihre fußballerischen Fähigkeiten. Das Funino-Modell verknüpfe den Breitensport mit der Förderung von Talenten. Weitere Vorteile der Drei-gegen-drei-Variante liegen für den Professor auf der Hand: Die Kinder laufen mehr als beim Sieben-gegen-sieben, haben mehr Ballkontakte, dribbeln häufiger und erzielen mehr Tore. Das würden die von der FAU in den Politprojekten erhobenen Daten belegen.

Den Status quo bezeichnet Lochmann dagegen als „Talente-Vernichtungsmaschine“. Deshalb ist es für ihn nur eine Frage der Zeit, wann das Drei-gegen-drei verpflichtend eingeführt wird.

Matthias Lochmann.
anpfiff.info

Gute Erfahrungen in Heroldsbach

Bernd Bergner ist ehemaliger Vorsitzender der SpVgg/DJK Heroldsbach/Thurn (Landkreis Forchheim) und hat mehrere Jahre G- und F-Juniorenteams trainiert. Mit dem herkömmlichen Spielsystem hatte Bergner viele Probleme. Vor allem die Frage, welches Kind er in das große Tor stellen solle, beschäftigte ihn. „Die Kinder haben oft geweint, weil sie keine Chance hatten, einen Ball zu halten“, erzählt Bergner.

Um den Kindern gleich viel Spielzeit zu geben, stand er mit der Stoppuhr am Spielfeldrand. Ein stressiges Unterfangen. Dazu kamen Anweisungen, um die Kinder auf dem Spielfeld zu steuern. Meist vergebens. „Der Größte hat den Ball geführt und und um ihn hat sich eine Spielertraube gebildet“, sagt Bergner. Im Jahr 2016 nahm er erstmals mit einer Mannschaft an einem Funino-Turnier teil und hat diese Spielform anschließend in Heroldsbach eingeführt – und die Probleme lösten sich. „Ich habe beim Spiel bisher kein Kind weinen sehen, außer es war verletzt“, sagt Bergner. Knapp 50 Kinder sind in der Heroldsbacher G- und F-Jugend aktiv. Der Zulauf sei enorm, die Eltern begeistert. Bergner rät anderen Vereine: „Einfach ausprobieren. Es tut nicht weh. Für etwa 350 Euro hat sich die SpVgg acht Minitore angeschafft. Kleinfeldtore sind ja deutlich teurer.“ Das Einzige, was bisher gefehlt habe, war die Unterstützung des Verbandes – und das hat sich jetzt geändert.

Funino-Experte räumt Bedenken aus

Das Spielsystem Drei-gegen-drei stellt Vereine vor Herausforderungen: Wie kann die Betreuung der Talente bei einem Turnier gewährleistet werden? Welche Kosten kommen auf die Vereine zu? Die Fragen beantwortet Funino-Experte Matthias Lochmann:

Finanzierung: "Kein Verein muss sich 32 Tore kaufen. Jeder teilnehmende Verein bringt pro gemeldeter Mannschaft zwei Tore mit und baut diese zu Beginn selbst am Spielfeld auf. So tragen alle Teilnehmer zum Gelingen eines Turniers bei. In den Pilotregionen funktioniert das einwandfrei."

Betreuung: "Die Trainer sind bei einem Spiel mehr als Aufpasser gefordert und weniger in ihrer eigentlichen Funktion. Die Kinder brauchen keine Anweisungen. Es reicht daher aus, die Regeln zu überwachen. Das kann auch jemand machen, der keine Ahnung von Fußball hat. Oft sind auch Eltern mit dabei, bei denen die Bereitschaft, die Aufsicht zu übernehmen, groß ist."

Matthias Lochmann.
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Funino: So funktioniert das

Die Idee des Funino ist nicht neu. Sie geht auf Horst Wein zurück, der Anfang der 1980er Jahre das kindgerechte Training entwickelte. Wein war Hockeynationalspieler und Trainer der deutschen und spanischen Auswahl. Das Konzept übertrug er später auf den Fußball. Ziel des Funino ist es, die Entwicklung der Spielintelligenz bei Kindern zu schulen.
Die klassische Variante wird im Drei-gegen-drei auf vier Minitore gespielt. In kleinen Teams ist jeder Spieler permanent ins Spiel eingebunden, niemand wird mit zu komplexen Spielsituationen überfordert.
Das Spielfeld ist 25 mal 30 Meter groß. Auf den beiden Grundlinien befinden sich jeweils zwei Minitore. Der Abstand dazwischen beträgt zwölf Meter. Durch diese Anordnung lernen die Kinder die Spielverlagerung, das Spiel in die Breite zu ziehen und Angriffe über außen zu forcieren. Die Kinder müssen in jeder Situation aufs Neue bewerten, auf welches Tor ein Angriff sinnvoller erscheint.

Eine Mannschaft besteht aus drei Feld- und einem Auswechselspieler. Nach jedem Treffer wird im Rotationsprinzip gewechselt. Fällt kein Treffer, wird spätestens nach zwei Minuten gewechselt. So erhalten alle Kinder gleich viel Einsatzzeit.
Zudem gibt es eine sechs Meter von der Grundlinie entfernte Schusszone. Treffer außerhalb der Zone zählen nicht.Fällt ein Treffer, gibt es ein Foul, oder geht der Ball im Seitenaus, wird das Spiel mit einem Dribbling fortgesetzt. Einen Schiedsrichter gibt es nicht. Die Kinder sollen selbst entscheiden, was ein Foul ist und was nicht. Ein Erwachsener überwacht die Einhaltung der Regeln, als Trainer ist dieser nicht gefordert. Die Kinder sollen ohne Anweisungen auskommen. Funino ist in mehr als 50 Varianten spielbar. Eine weitere Variante schult die Strafraumbeherrschung des Torwartspiels. Pro Partie gibt es einen festen Torspieler, der in der Schusszone den Ball in die Hand nehmen darf und ansonsten als Feldspieler agiert.

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