Artikel vom 20.10.2024 16:19 Uhr
Pierre Kaiser zusammen mit dem Bezirksvorsitzenden Uwe Mauckner.
Pionier in
Bayern, Premiere in Franken: Als erster beinamputierter Spieler im
Freistaat hat Pierre Kaiser eine Spielberechtigung beim Bayerischen
Fußball-Verband (BFV) für den regulären Spielbetrieb
beantragt – und stand jetzt bei der A-Klassen-Partie zwischen der SG
Dormitz Brand II und der Reserve des TSV Behringersdorf (2:1) erstmals
in einem Pflichtspiel auf dem Platz.
Von
Sebastian Baumann
/ PM BFV
2007
hatte Pierre Kaiser bei einem Zugunfall sein rechtes Bein verloren. Ein
Schicksalsschlag, der das Kämpferherz des Mittelfranken weckt. „Bereits
kurz nach dem Unfall war mir klar, dass
ich mein Leben voll auskosten möchte und mich nicht hängen lassen
werde. Ich habe schnell gemerkt, dass Dinge wie beispielsweise
Fahrradfahren auch mit einem Bein funktionieren. Das hat mir Mut gemacht
und gezeigt, dass das Leben auch mit amputiertem Bein
sehr lebenswert ist“, erzählt Kaiser. Auf der Reha im niederbayerischen
Osterhofen erzählt ihm ein Mitpatient vom Amputiertenfußball. Das
Interesse ist geweckt, auch wenn der heute 35-Jährige zuvor nie Fußball
gespielt hatte. Bei einem Amputiertenfußball-Lehrgang
in der Sportschule Hennef bei Bonn leckt Kaiser 2011 endgültig Blut,
wird kurz danach Teil der Amputierten-Fußballmannschaft „Anpfiff
Hoffenheim“ und schafft sogar den Sprung in die deutsche
Amputierten-Nationalmannschaft. Dort lernt er Ralf Stellfeld kennen,
der 2023 als erster Amputiertenfußballer Deutschlands vom
Niedersächsischen Fußballverband für den regulären Spielbetrieb
zugelassen worden war und ihm von seinen Erfahrungen berichtet.
Pierre Kaiser bei der Vorbereitung auf das Spiel.
Philipp Schmatloch/BFV
Ein Teil des Teams
Wieder ist Kaisers Neugier geweckt, der ohnehin bereits seit 2022 bei
der Reserve der SG Dormitz Brand im Fußball-Kreis Erlangen/Pegnitzgrund mittrainiert. „Mein Nachbar Martin Jäger, der bei uns das Tor hütet,
hat immer wieder bei mir angeklopft und nicht
lockergelassen, bis ich mich schließlich bereit erklärt habe, einmal im
Training vorbeizuschauen. Die Reaktion der Spieler, die mir einen
unglaublich herzlichen Empfang bereitet haben, hat dann dazu geführt,
dass ich geblieben bin. Ich war sofort Teil des
Teams und habe mich nicht eine Sekunde wie ein Spieler mit Handicap
gefühlt“, erklärt Kaiser, dem nach dem Gespräch mit Stellfeld kein
vernünftiger Grund einfällt, warum er nicht auch versuchen sollte, eine
Spielerlaubnis für den regulären Spielbetrieb zu
bekommen. „Ich habe mir gesagt, ich versuche das jetzt einfach, mehr als
ein Nein kann ich nicht zu hören bekommen. Und tatsächlich habe ich mit
meiner Anfrage bei unserem Bezirksvorsitzenden Uwe Mauckner eine offene
Tür eingerannt. Er war sofort Feuer und
Flamme und hat alles in die Wege geleitet, wofür ich sehr dankbar bin“,
erklärt Kaiser, den auch eine Teamkollegin mit ihrem Beispiel ermutigt
hatte, diesen Schritt zu gehen: Als eine der ersten Frauen in Bayern
hatte Evi Schlagenhaufer beim BFV eine Sondererlaubnis
zur Teilnahme am Männer-Spielbetrieb beantragt und schrieb mit ihrem
Elfmetertreffer im A-Klassen-Heimspiel gegen die SpVgg
Neunkirchen-Speikern-Rollhofen fränkische Fußballgeschichte.
Pierre Kaiser im Kreise seiner Mannschaftskollegen.
Philipp Schmatloch/BFV
Bezirksvorsitzender Mauckner: „Ein echtes Vorbild“
„Fußball ist für alle da. Das ist für uns nicht nur eine hohle Phrase,
sondern das Credo, nach dem wir im Verband leben. Für uns war es
überhaupt keine Frage, dass wir dem Wunsch von Pierre Kaiser nachkommen
und schnell und unbürokratisch eine Spielberechtigung
erteilen. Zumal ja keine gravierenden Anpassungen notwendig sind. Das
Spielen des Balles mit der Krücke wird als Handspiel gewertet – sonst
bleibt weitgehend alles gleich. Pierre ist mit seinem Enthusiasmus und
seiner Lebensfreude ein echtes Vorbild, ein Mutmacher
für andere Menschen in einer ähnlichen Lebenssituation“, sagt
Mittelfrankens Bezirksvorsitzender Uwe Mauckner.
„Bei uns in der Mannschaft waren alle sofort positiv gestimmt, als wir
erstmals von der Geschichte gehört haben. Wir haben großen Respekt vor
Pierre und finden es richtig cool, dass wir die ersten waren, die ihn
haben spielen sehen und bei dieser besonderen
Premiere als Gegner dabei sein durften“, erklärt Benjamin Schüch,
Trainer des TSV Behringersdorf. Beringsdorfs Spieler Branimir Nikolov
ergänzt: „Es war ein Privileg für uns. Dass ein Spieler, der es verdient
hat, auf dem Platz zu stehen, das auch problemlos
kann: Das hat der Bayerische Fußball-Verband möglich gemacht und ist
damit auch seiner gesellschaftlichen Verantwortung gerecht geworden.“
Pierre Kaiser bejubelt zusammen mit seinen Mannschaftskameraden den Siegtreffer.
Philipp Schmatloch/BFV
„Ich habe in meiner langen Karriere schon alles gepfiffen:
Blindenfußball-Spiele und Partien von gehörlosen Spielern - und jetzt
als Schiedsrichter diese besonere Partie leiten zu dürfen, war schon
eine super Geschichte und macht mich stolz“, erklärte Schiedsrichter
Klaus Clausener.
Mit seinen ersten Einsatzminuten im regulären
Meisterschafts-Spielbetrieb ist für Pierre Kaiser einer von drei Träumen
in Erfüllung gegangen, zwei weitere sollen folgen: Die Deutsche
Meisterschaft mit Anpfiff Hoffenheim und ein eigenes
Amputierten-Fußballangebot
in Nürnberg, das er gemeinsam mit dem Club realisieren will.