Blickt man auf die Historie in der deutschen
Fußball-Bundesliga zurück, so kommt man freilich nicht am FC Bayern München
vorbei. Von der Saison 2012/13 an gab es am Ende keinen anderen Meister mehr.
Borussia Dortmund hätte es beinahe in der Saison 2022/23 geschafft, verspielte
den Titel aber auf dramatische Weise am letzten Spieltag. Es war also
eigentlich klar, dass der nächste Gewinn der Meisterschaft durch die Bayern
gebucht sein sollte. Viel investieren wie in Casinos mit geringer Einzahlung
hätte man vor dem Start der Saison 2023/24 für einen neuen Meister nicht
wollen. Aber es kann einen geben, der in der langen Historie der obersten
deutschen Spielklasse noch nie ganz oben abschließen konnte.
Leverkusen ist zwar seit vielen Jahren eines der
Spitzenteams in der Bundesliga, aber für Titel hat es nur selten gereicht. 1988
holte Bayer fast schon sensationell den Sieg im UEFA-Cup, nachdem man das
Hinspiel im Finale noch deutlich verloren hatte. 1993 wurden die Rheinländer
auch Sieger im DFB-Pokal und ein Jahr später gewann man noch das
Hallen-Masters. Dann aber endete die Titelsammlung für Bayern, obwohl man einige
Mal eng dran gewesen war.
Die Entstehung von Vizekusen
Besonders kurios war die Saison 1999/2000, als Leverkusen
vor dem letzten Spieltag drei Punkte Vorsprung vor den Bayern hatte und zum
großen Außenseiter nach Unterhaching fuhr. Doch anstelle eines großen Triumphs
wurde es ein Fiasko. Ein Eigentor von Michael Ballack leitete die Niederlage
beim Underdog ein. Stattdessen feierten wieder die Münchner den Gewinn der
Meisterschaft. Schon in der Saison 1996/97 und 1998/99 lief Leverkusen als
Vizemeister hinter den Bayern ein.
2001/02 konnte Bayer dann die Bayern hinter sich lassen,
aber trotzdem reichte es wieder nicht zur Meisterschaft. Diese sicherte sich
dafür Borussia Dortmund. Bayer Leverkusen stand aber auch noch im Finale des
DFB-Pokal und sogar in der Champions League. Doch beide Endspiele gingen
verloren. Drei Wettbewerbe, kein Titel. Das hat es bisher noch nie gegeben. Deshalb
spricht man vom Jahr 2002 auch von der Geburtsstunde von „Vizekusen“. Für ein
paar deutsche Nationalspieler, wie Michael Ballack, Bernd Schneider oder Carsten
Ramelow, gab es in jenem Jahr sogar noch eine Finalpleite. Bei der WM in Japan
unterlag Deutschland im Endspiel gegen Brasilien.
In Bezug auf Leverkusen gibt es sogar einen englischen
Titel, der sich auch noch ganz gut reimt: Neverkusen! Also „Niemalskusen“ in
Anspielung dafür, dass Bayer es irgendwie nicht schafft, einen Titel zu
gewinnen, obwohl man einige Mal gut dabei war. Kurios: Die Muttergesellschaft
des Vereins, die Bayer AG, hat sich diesen Begriff sogar schützen lassen und
trat mit einem Augenzwinkern dem Spott entgegen, der sich über die „Werkself“
ausladen sollte. Aber natürlich war es auch nicht das Image, das man weiter
pflegen wollte. Denn jeder Verein, vor allem diejenigen, die für gewöhnlich
oben mitmischen, will Titel gewinnen. Denn darauf kommt es nun eben im Sport
an.
Die Fans von Bayer 04 mussten sich immer wieder den Spott
gefallen lassen, auch wenn ihre Mannschaft in den meisten Spieljahren doch mehr
Partien gewann als sie verlor. Die vielen Finalteilnahmen sind sicher auch ein
Qualitätsmerkmal. Und ins Finale der Champions League bzw. des
Landesmeisterpokals haben es erst sechs deutsche Mannschaften überhaupt
geschafft. Aber die immer wieder neuen Anläufe der Leverkusener auf einen Titel
scheiterten doch immer wieder. Es war schon tragisch, fast wie bei Sisyphos.
Eigentlich ist Bayer Leverkusen seinem Spitznamen im letzten
Jahrzehnt nicht mehr gerecht geworden. Zwar gab es keine Titel, aber es reichte
in der Bundesliga auch nicht mehr zu Platz 2. Mehr wie Platz 3 oder 4 waren vor
der Saison 2023/24 nicht mehr drin. Insofern waren eher RB Leipzig oder
natürlich Borussia Dortmund die Vereine, die man als erste Konkurrenz für den
FC Bayern München vor der Saison sah. Doch der Saisonverlauf lehrte die
Experten etwas Neues.
Bayer Leverkusen, 1979 in die Bundesliga aufgestiegen und
seitdem immer erstklassig, präsentierte sich als eine absolut intakte
Mannschaft, die auch fußballerisch neue Maßstabe setzte, mit denen nicht einmal
der große FC Bayern München mithalten konnte. Die Herbstmeisterschaft war die
erste Etappe auf dem Weg zum großen Ziel, einem Titelgewinn. Während die Bayern
schon im DFB-Pokal die Segel streichen mussten, ist Leverkusen der absolute
Topfavorit auf den Sieg, den man vor über 30 Jahren schon einmal holen konnte.
In der Euro League setzte die Werkself ebenfalls neue
Maßstäbe, marschierte durch die Gruppenphase und gilt auch dort als ein heißer
Titelkandidat – viel mehr als es 1988 der Fall gewesen ist, als man im
Ulrich-Haberland-Stadion einen historischen Triumph feiern konnte. Der ganz
große Coup wäre aber dennoch, wenn Bayer nach all den Jahren doch seine erste
Meisterschaft holen könnte.
Neuer Rekord und Titelanwärter
Weil man in 33 Pflichtspielen ohne Niederlage geblieben ist
und in der Liga auch nur drei Mal Punkte teilen musste, ist im Prinzip der
Großteil der Spitzengruppe schon abgehängt. Nur eine Mannschaft kann, zumindest
halbwegs, noch folgen: Der Rekordmeister FC Bayern München. Aber auch an der
Isar hat man längst erkannt, dass mit den Rheinländern in diesem Jahr ernsthaft
zu rechnen sein muss. Mit einem 3:0-Sieg gegen die Bayern unterstrich
Leverkusen diesen Anspruch eindrucksvoll. Auf acht Punkte konnte man den Bayern enteilen.
Während in
München die Trennung von Trainer Thomas Tuchel nach der Saison schon
beschlossen ist und vieles hinterfragt wird, eilt man im Westen von Sieg zu
Sieg, wenngleich man auch mit Sorge das Werben um Erfolgstrainer Xabi Alonso
beobachtet. Nicht zuletzt die Münchner Bayern, aber auch der große FC
Liverpool, würde gerne die vakante Trainerposition im Sommer mit dem Basken neu besetzen. Doch einen gültigen Vertrag mit dem Ausnahmespieler frühere Jahre hat
eben nur der Werksklub.
Es wird spannend sein, zu beobachten, ob aus Vizekusen ein
Titelsammler Bayer Leverkusen wird und wohin dann der Weg von Alonso und seinem
hochtalentierten Team führen wird. Freilich wird auch gerade die Zukunft von
Deutschlands wohl größtem Talent Florian Wirtz diskutiert. Viele Vereine, wie
man hört auch der FC Bayern München, hätte den Offensivspieler gerne in der kommenden
Saison in ihren Reihen. Doch auch hier hat Leverkusen noch mindestens ein Wörtchen
mitzureden. Die sportliche Zukunft unterm Bayer-Kreuz erscheint so
vielversprechend wie noch nie. Vielleicht schreibt man auch gemeinsam eine ganz
neue Erfolgsgeschichte und es entwickelt sich auch langfristig ein spannendes
Duell um die Meisterschaft in der Bundesliga.
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